Über den Alpen

Das Schmerzhafteste an der Trennung ließ mich die ganze Nacht nicht schlafen. Tags darauf war nur die Leere und der Schmerz da. Kein Hoffnungsschimmer am Horizont, kein Sonnenschein. Und in der Nacht vor mir sollte es nach Italien gehen. Den Traum, von dem ich den ganzen Sommer gezehrt habe. Die Fahrt so zurechtgelegt, daß ich den Gotthard (die alte Tremola, was sonst!) im Morgengrauen passiere.

Nicht einmal darauf konnte ich mich freuen. Lange mit Freunden telefoniert, immer wieder Tränen geschluckt. Alles war so grau-in-grau und irgendwie bedeutungslos. Dazu septemberlicher Nieselregen draußen.

Langsam wurde es abend, dunkel und kalt. Alle Sachen, die ich noch erledigen wollte, waren schon erledigt. Ausfahrt zur Bank, dann an der Tankstelle vorbei. Absolut geistesabwesend (vorher bin ich 14 Jahre nur Diesel gefahren) halte ich an der falschen Zapfsäule und wundere mich, wieso der Zapfhahn nicht in den Stutzen meines NG passt. Wie selbst so eine kleine Sache einen fertigmachen kann...unglaublich. Resigniert schiebe ich das Cab eine Zapfsäule weiter. Volltanken. Nach Hause fahren. Packen. Noch einmal alles überprüfen. Gepäck, Motor- und Hydrauliköl, Kühl- und Waschwasser, Reifendruck. Mein treuer NG bräuchte dringend die Scheiben geputzt und eine gründliche Innenraumreinigung. Mir alles egal. Geht mir sowas von am Arsch vorbei. Zurück in die Wohnung. Ist noch zu früh, um loszufahren. Kurz hinlegen. Minuten und Sekunden fließen so zäh wie Melasse.

Irgendwann halte ich es nicht mehr aus, schleppe meinen Koffer nach unten, steige ein und los geht's. Navi programmieren. Losfahren. Viertel nach Elf, alle Straßen leer und das Display des Navi als einziges Zeichen, daß ich nicht verloren bin. Die ersten 400 km über bekannte Strecken. Aus dem Radio in Abwechslung Country, klassischer Gitarrenrock und Sunrise Avenue. So mancher Song kratzt mir tief ans Herz. Gerne wünschte ich mir schönes Wetter, so daß ich das Verdeck öffnen kann, aber der Regen passt eher zu meiner momentanen Laune und tut sein übriges. Da lege ich wieder eine CD ein, die ich seit Jahren nicht gehört habe. Ein Country-Sampler. Und da kommt es. Kathy Mattea mit "Going Gone" (wenn jemand den Song hören will, bitte hier entlang, und hier für den Text). Es gibt kein Halten mehr, Tränen, Tränen, Tränen...so daß ich fast anhalten muß. Die Instrumentbeleuchtung verschwimmt mir vor den Augen. Ich schaue auf die Uhr. 5 Uhr morgens, kurz nach Freiburg. Tankuhr auf Ebbe. Schon das zweite hoffnungslos durchnässte Tempo-Taschentuch landet auf dem Beifahrersitz. Ich hole mir ein drittes, wische mir so gut es geht die Tränen ab und fahre die erste Tankstelle an.

Volltanken. Schweizer Vignette kaufen. Großen Kaffee holen. Liege in etwa eine Stunde vor meinem Zeitplan. Paar Runden um die Tankstelle herumlaufen, Kaffee trinken, Paar Zigaretten rauchen. Die Tränen sind verebbt, nur noch die Leere ist geblieben. Weiter geht's. Die Schweizer Grenze ist passiert nur mit einer kurzen Kontrolle. Langsam wird es hell, was nicht gut ist. Denn es ist alles so trostlos grau und es schüttet weiter wie aus Kübeln. Die Umrisse der Berge werden deutlicher in der Dämmerung. Nächster Halt Gotthard-Raststätte. Deftiger Frühstück und wieder Kaffee. Halbe Stunde auf dem Fahrersitz hinlegen. Der Schlaf kommt und kommt nicht. Ich gebe auf, ziehe meine Limora-Handschuhe an und fahre weiter.

Von der Autobahn runter und in strömendem Regen rauf den Gotthard. Zweiter Gang, dritter Gang, Kurven, Kehren, Bahnübergänge. Höher und höher. Der Hospiz grüßt mich mit Kälte, strömendem Regen und eisigem Wind. Nach der kurzen Runde, um ein Paar Erinnerungsfotos zu schießen, bin ich gründlichst gefrostet, meine Jacke nass und mir geht es garnicht gut. Runter die alte Kopfsteinpflasterpiste nach Airolo. Kehren im ersten Gang, hier und da ist nicht einmal an den zweiten zu denken, alles darüber könnte man vergessen. Es ist mittlerweile heller geworden und der Regen so entsetzlich, daß der (alte und wohl längst nicht mehr imprägnierte) Verdeck durchnässt ist. Ab und zu schaue ich fasziniert auf den Sturzbächern, die von den Felsen entlang der Straße runterkommen. So seltsam schön und gewaltig.

Wieder auf der Autobahn. 130 km/h nach Navi, und das Cab frißt die Kilometer genauso wie mein alter 760er Volvo. Alle Achtung, hätte ihm das nicht zugetraut. Da erwische ich mich selbst beim Sekundenschlaf. Mist. Zeitweise Fenster öffnen geht nicht, da kommt selbst durch einen Handspalt die Sintflut hinein. Heizung total runtergedreht. Fühle mich nur mieser, nicht wacher. Aber gleichzeitig nagt auch etwas neues an meiner Seele - das Gefühl, daß ein Teil von mir (von dem ich noch nicht weiß, ob er gut oder schlecht ist oder einfach die Last, mit der ich losgefahren bin) irgendwo auf der Fahrt geblieben ist. Weiß nicht wo. An der Raststätte? Oben am Hospiz? Weggespült vom eisigen Regen und weggeweht vom Wind? Ich weiß es nicht. Aber ich fühle mich ein stück leichter. Oder nur müde?

Ich halte an einem leeren Parkplatz und schaffe es, so etwa 20 Minuten zu schlafen. Es ist nicht weit bis zur italienischen Grenze, da werde ich durchgewunken. Runter nach Mailand, das Wetter klart auf, es wird wärmer und wärmer. Noch einmal volltanken. Zapfsäulen mit Bedienung sind schon ein Luxus.

Irgendwo zwischen Mailand und Bologna ist es soweit. Es ist warm, es ist sonnig und ich das geschlossene Cab leid. Anhalten an der ersten Raststätte. Verdeck prüfen. Alles knochentrocken. Runter damit! Die Sonne scheint so schön und warm und scheint mir irgendwie einen Teil der Tränen zu trocknen, die noch garnicht geflossen sind. Die Fahrt hat mir schwer an die Kondition genagt, dennoch ist es wieder ein Augenblick zu genießen. Weitab von Deutschland, weitab vom Regen, weit weit weg von Trennungsschmerz. Ich wechsle die CDs durch und höre mir immer wieder dieses Lied von Kathy Mattea..."There's a ship on the horizon, making its way against the wind, from the place I stand here watching, I swear my ship is coming in". Tränen der Freude und Erleichterung, als die Adria zum ersten mal von der Autobahn zu sehen ist.

Unbewußt drücke ich das Gaspedal ein Stück tiefer. Bin da, noch am Leben, irgendwie geht es weiter. Mittlerweile 14 Stunden unterwegs. Müdigkeit verdrängt nach und nach Schmerz und Schwermut, und die Sonne scheint so schön. Allerlei Gerüche kommen von außen rein. Ich drücke meine Zigarette aus, schiebe den Aschenbecher zu, fahre die Scheiben runter und gebe dem Windschott einen Klapps, damit er runterfällt. Der Wind bläst mir um die Ohren. Bin noch am Leben, verdammt noch mal und in den Momenten überfällt mich die Welt mit so vielem, was ich bisher nicht bemerkt zu haben schien.

Weniger als 100 km bis Pescara. Ein letztes mal tanken. Runter von der Autobahn und gemächlich durch die staubigen Straßen kurven. Hier und da drehen sich Köpfe nach mir um. Die letzten Kurven bis zur Wohnung meiner besten Freundin. Ankommen. Anhalten. Seit 2 Jahren hatte ich sie nicht mehr gesehen. Gleich ist es wieder soweit. Eine warme Umarmung zur Begrüßung. Ich hole meine Sachen aus dem Kofferraum, lasse aber den Cab offen. So schön sieht er aus, auch wenn man ihm den zurückliegenden Sommer fast ohne Pflege ansieht. Für einige Sekunden schaue ich das Cab einfach an von der anderen Straßenseite.
Verdeck zumachen fällt mir schwer, und das nicht nur wegen der 15 Stunden am Steuer. Bin froh um die Fahrt und all die Momente. Noch kann ich mir keine andere neben mir auf dem Beifahrersitz vorstellen. Wird noch eine ganze Weile dauern. Es ist dennoch wie Balsam auf meine Seele zu spüren, daß mir doch soviel schönes geblieben ist...

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