Den Herbst liebe ich, dennoch hätte ich auf solche Tage gerne verzichtet. Bleierner Himmel, einheitsgrau wie ein Vertreterdiesel, dazu nieselt es, als ich mit dem Fahrrad Brötchen hole. Ungemütlich, wohin man auch schaut. So seht ich auch den Herbst liebe, solche Tage brüten Schwermut.
Zum Glück habe ich etwas vor und kann den Boxster aus seiner Herbstlethargie wecken. Verdeck bleibt zu und auf der Fahrt höre ich einen Greatest-Hits-Sampler von Mötley Crüe. Wie es der Zufall so will, spielt der Player wiederum die schwermütigen alten Schinken. Irgendwie komisch, als ich noch jung war, kam mir der Sound viel härter vor. Bei "If I Die Tomorrow" droht die Schwermut endgültig überzuschwappen. Ich stelle den Boxster ab, die Fahrt ist zu Ende.
Eine alte Windmühle in der Nähe wird von einem kleinen Verein betriebsfähig erhalten und regelmäßig vorgeführt. Heute ist das vorletzte Mal dieses Jahr, daß man sie in Bewegung bewundern und ablichten kann. Die Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen. Ich beobachte die Männer, wie sie die Mühle in den Wind ausrichten und die Segel aufspannen, helfe kurz, den Bereich unterhalb des Mühlenrads zu sichern, dann widme ich mich meinen Fotos. Fühlt sich irgendwie wie Arbeit an. Alles eine Frage des guten Handwerks, die Blickwinkel und sonstiges hatte ich mir schon vorher im Kopf zusammengestellt.
Worauf ich nicth vorbereitet war, war die Führung und die Fotomöglichkeiten im Inneren der Mühle. Dennoch, fühlt sich alles wieder an wie Arbeit - ich habe schon Ähnliches fotografiert und schließlich bin ich nicht der Anfänger, der ich mal war. Trotzdem muss ich bei so machem Motiv ein wenig lächeln. Schon bei der Aufnahme weiß ich, das die Fotos gut werden. So vergeht fast eine Stunde im Inneren der Mühle, bevor ich wieder ans Tageslicht trete.
Oh, was für ein Wunder! Die bleiernen Wolken haben sich verzogen und daraus ist, entgegen jeder Vorhersage, ein wunderschöner frischer Herbsttag geworden. Einer, wo 17 Grad schon lange nicht mehr warm ist, aber den man trotzdem geniesen sollte. Bei dem Gedanken an die Heimfahrt kriege ich Herzklopfen.
Hastig nutze ich das "bessere" Licht und mache noch einige Außenaufnahmen, bevor ich einpacke und richtung Boxster marschiere. Fotorucksack lasse ich auf dem Beifahrersitz, starte den Motor und mache das Verdeck auf. Langsam, ohne hast. Behutsam fahre ich aus der Parklücke raus und bin bald auf der Autobahn.
Auf der Fahrt lasse ich das Radio aus und genieße den frischen Fahrtwind. Schnell muss man nicht fahren an solchen Tagen, sondern bewußt. Ich atme tief die Herbstfrische ein und genieße jedes Stück davon. Um solche schönen Momente liebe ich den Herbst, um sie und um ihre Vergänglichkeit. Bald wird es sie nicht mehr geben und es wird noch kälter werden.
Ein grauer Cayman rauscht an mir vorbei mit Vollgas auf der linken Spur. Irgendwie verstehe ich den Fahrer nicht. Es gibt so vieles anderes zu genießen an diesem Tag, muss es die Geschwindigkeit sein? An so einem Tag zu rasen ist wie flaschenweise Maggi auf die Kreation eines Sternekochs zu schütten.
Ich denke zurück an die Vergänglichkeit dieser Momente. Es ist vielleicht genau diese Vergänglichkeit, die solche Momente so kostbar macht und die Tatsache, dass sie nur im Herbst vorkommen. Im Frühling gibt es sie auch, doch sie werden immer und immer länger, bis sie irgendwann der welken und im Vergleich dazu faden Hitze des Sommers weichen, wo man sie vergeblich sucht. Ich denke, wie vielen sind solche Momente bewußt und wie viele die Fähigkeit besitzen, sie so wahrlzunehmen und zu genießen. Ich weiß es nicht.
Viel zu kurz ist die Heimfahrt. Fast schon wehmütig stelle ich den Boxster ab. Den Lufttemperaturen nach hötte ich gut gefrostet zuhause ankommen müssen. So ist es aber nicht.
Stattdessen bin ich voller Herbstfrische.