Die Berührung

Frühmorgens, halb 10 in Deutschland. Es ist wieder eins dieser Tage, wo ich zuviel und doch zuwenig Zeit habe. Zuviel, weil es oft einfach zu schwer war, die Zeit bis zum Dienstantritt irgendwie durchzustehen, und zuwenig, weil es einfach nie ausgereicht hat, um etwas vernünftiges oder längst überfälliges zu tun. Oder zumindest war das so bis vor nicht allzu langer Zeit.

Heute ist alles anders. Wieder habe ich Dienst, also gehört der Vormittag mir. Ausschlafen kann ich dennoch nicht, es steht eine Fahrt nach Bonn an, muß zum bulgarischen Konsulat, zu einem Date mit europäisierter Bürokratie und genuiner bulgarischer Behördenidiotie. Eigentlich habe ich alles, was ich bräuchte, dürfte keine Probleme geben...aber bei Behördengängen weiß man ja nie.

Es ist nicht die erste Fahrt dahin. Auch nicht die erste Fahrt mit dem Cab. Draußen lacht die Sonne, auf dem Himmel ist keine einzige Wolke zu sehen. Alleine das läßt den Kaffee am morgen ein Stück besser schmecken. Daher verbringe ich ein wenig länger mit Kaffee trinken, während einige ganz liebe SMS mein Puls ein wenig in die Schnelle treiben. Vorfreude ist die schönste Freude.

Die Luft draußen ist frisch und dennoch warm. Verdeck verschwindet im Kasten und kaum ist der Motor warm, bin ich schon auf der Autobahn. Die 10.30-Uhr-Nachrichten im Radio ermahnen mich, daß ich doch ein wenig zu lange Kaffee getrunken habe, so lasse ich es schön flott angehen. Die Autobahnen sind nicht sonderlich voll, da kommt man gut durch, bis auf dem obligatorischen Stau am Kölner Ring. Bei Köln-West entsteht die dritte Indoor-Autobahn Deutschlands (nach der A3 bei Hösbach und der A46 bei Wuppertal). Pfui deibel!

Als ich im Stau vor der Baustelle stehe, macht mich der Gedanke ein wenig wütend. Nein, ich schwöre, es ist nicht der Stau. Aber uns Cabriofahrern den blauen Himmel einfach so klauen zu wollen, das geht GARNICHT!

Aus dem Gedanken reißt mich ein pubertäres Röhren aus dem Wagen vor mir. Ach, ein getunter Corsa. Heckklappe gecleant, LED-Rückleuchten, Effektlack, tiefergezogene Heckschürze mit Streckgittereinsätzen...soweit, so gut. Nur an beiden Enden sind die Gitter wie mit der Stichsäge ausgeschnitten und links und rechts lugen aus den Löchern die Endrohre einer Duplex-Auspuffanlage hervor. Flache Endrohre und eckige Ausschnitte in den Gittereinsätzen. Sieht aus wie ein Rohrkrepierer im Doppelpack und hört sich an, als würde Brithey Spears versuchen, Maria Calas nachzusingen.

Ich will garnicht wissen, was für eine Flachzange am Steuer sitzt. Der würde womöglich auch noch die Indoor-Autobahn cool finden. Klaro, da kann er wohl seine (verbotene) Unterbodenbeleuchtung da drin auch am Tag einschalten. Jetzt verstehe ich, wieso böse Zungen diese Tuningmaßnahme gerne mal als "Unterhodenbeleuchtung" bezeichnen. Muß lachen.

Der Extraportion gute Laune tut selbst der kurze Stau auf der A4 kein Abbruch. Die Anblicke der vielen offenen Cabrios tun ihr übriges, daß ich nicht aus dem Lächeln komme. Und der letzte Stück Straße bis zum Konsulat steht noch an. Eigentlich liegt es nicht in Bonn, sondern in Bad Godesberg. Keine 10 Minuten zu Fuß vom Rhein entfernt. Und die Fahrt dahin ist irgendwie eine Fahrt durch 50+ Jahre deutsche Geschichte im Schnelldurchlauf. Runter von der Autobahn, kurz durch Bonn-Pöppelsdorf, dann auf die B9. Auf diesem Stück eine lange Baumallee mit funktionierender grüner Welle. Hier und da mit Ausblick auf dem Langen Eugen und dem Post-Tower. Auf beide Seiten die Zentralen irgendwelcher Ämter, die doch in Bonn geblieben und Ende der 90er den bonner Kampfschrei "Umzug ist Unfug" sich zu Herzen genommen haben. Die Museummeile.

Bad Godesberg und der Viertel, wo das Konsulat liegt, scheinen von all den Jahren Bonns als deutsche Hauptstadt unberührt geblieben zu sein und wirken immer noch genauso wie zu der Zeit, als Bonn eine beschauliche Universitätsstadt gewesen ist. Alles hat sich vermischt, fühlt sich geradezu zum Anfassen und Genießen an. Wie guter Wein, man kann das gesamte Bouquet genießen, aber gleichzeitig jedes einzelne Quentchen Geschmack sehr deutlich spüren. "Zum genießen nur aus einem geeigneten Gefäß", schießt es mir durch den Kopf. Nur stilecht mit vier Rädern und keinem Dach überm Kopf. Schließlich trinkt man Dom Perignon auch nicht aus einem Pappbecher.

Zum Abgang gibt es den seltsamen Anblick der ehemaligen bulgarischen Botschaft. Die Verspiegelung an der gläsernen Fassade im protzigem internationalem Stil ist verblichen und hier und da aufgeplatzt. Passt aber und läßt den Geschmack der Fahrt lange nachwirken. So kann ich im Konsulat über die übliche Bürokratoidiotie nur noch lächeln. So sehr, daß das Mädel, was meine Sachen bearbeitet, mich etwas seltsam anschaut. Gut, daß mein "Fluchtfahrzeug" ganz nah am Ausgang steht.

Die notfallmäßige Einweisung in die Psychiatrie bleibt mir erspart, so kann ich wenig später entspannt die Fahrt nach hause antreten. Diesmal eine etwas andere Strecke, es geht durch die ehemalige American Community in Bad Godesberg. Das letzte mal, als ich hier durchgefahren bin, stand noch auf der linken Straßenseite ein verlassener kleiner Militärstützpunkt. Jetzt werden auf dem Gelände schön aussehende kleine Häuser gebaut. Ansonsten ist alles beim alten geblieben. Der Hinweisschild, wo es zur Baseballanlage langgeht, hier und da die doppelte Beschriftung in englisch und deutsch. Und wieder einmal die Bäume, die wahrscheinlich noch jahrelang hier gestanden haben, bevor die Amis eingezogen sind und dessen Kronen die Straße überspannen.

Das Licht- und Schattenspiel in den Baumkronen ist Elixir für die Seele jedes Cabriofahrers. Oder jeder Cabriofahrerin. Daran werde ich erinnern, als ein offener New Beetle an der Ampel neben mir hält. Mit hochgefahrenen Scheiben. Gesteuert von einer Blondine typ "attraktive gestresste erfolgreiche Geschäftsfrau". Wem's gefällt.

Als die Ampel auf grün umspringt, schaue ich nicht in den Rückspiegel. Meine Augen sind auf der Straße und meine Gedanken bei einer ganz anderen Cabriofahrerin. Einer, dessen Augen von innen lachen. Ich schaue doch in den Rückspiegel, aber diesmal ist da nicht die Sicht der Straße, sondern die Sicht, die ich die ganze Zeit seit dem Sonntag vor meinem inneren Auge getragen habe. Das dunkle, über die Stirn so schön frech herunterhängende Haar, die kleinen Lachfältchen...und zwei Augen, die mich selbst im Rückspiegel in Ihrem Bann ziehen. Ganz dunkle, fast schwarze Augen, in denen ich fast versinken könnte. Und ein Lächeln, so warm wie die Sonne, die auf mich scheint. Trotz der warmen Sonne bekomme ich Gänsehaut bei der Erinnerung.

Mit einem Schlag fühlt sich alles ein gutes Stück intensiver an als ohnehin. Die Sonne auf mein Gesicht, die Berührung des Fahrtwinds in mein Haar. Tausendmal bisher habe ich all das gespürt, aber so intensiv noch nie. Nicht einmal bei der ersten offenen Fahrt, als ich als Cabriofahrer meine Unschuld verloren habe. In vollen Zügen genieße ich die Fahrt nach Hause durch die Mittagshitze. Nicht einmal Träumen fühlt sich so schön an.

Mein Handy meldet sich. "Schade, das der Wind in meinem Haar, auf meiner Haut, nicht Deine Hände sind". Mein Herz spielt auf einmal verrückt.

Ich spüre Ihre Hände.

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