Eigentlich hatte ich heute was anderes vor. Eigentlich. Mir brennt die Sicherung durch, ich packe behutsam meine Fotosachen. Alles andere gestaltet sich plan- und kopflos. Mal sehen. Wer kann dem Ring schon widerstehen? Besonders zu den 24 Stunden? Wetter ist sonnig, so verschwindet Verdeck im Kasten.
Nicht wirklich viel Verkehr auf der Autobahn. Einsame Kilometer zu Mark Knopfler und Emmylou Harris aus den Boxen. "All The Roadrunning". Eins dieser ruhigen und stillen Songs, die sich doch absolut passend auf einer fast leeren Autobahn anfühlen. Am liebsten nachts. Und schnell. Später ist es das tanzlaunige "Red Staggerwing", als es von der Autobahn auf die eifeler Landstraßen geht.
Mit zunehmender Nähe zum Ring finden auch die einsamen Kilometer ihr Ende. Dauerstau. Boxster nimmt es gelassen, die Kühlwassertemperatur steigt nur ein wenig und pendelt sich doch im sicheren Bereich ein. Mir dagegen wird es zunehmend zum Kotzen. Ich ahne Schlimmeres, als ich das Auto an der Hohen Acht abstelle. Zeit für eine kleine Eifelwanderung. Die schöne Stille der Eifelwälder lädt geradezu ein. Fast genauso wie als ich klein war. Ohne Plan, ohne Peil, querfeldein. Fast. Damals hieß (ungefähre Übersetzung) die Art Schuhe, die ich heute trage "Stofflinge" und nicht"Canvas Top Sneakers" und waren eher billiges Kinderschuh als Lifestype-Detail. Unser Spielzeug haben wir aus Holz, Draht und Nägeln selber gebastelt und es kostete nichts. Heute trage ich auf dem Rücken schwarzes und weißes Glas-Elektronik-Kunststoff-Metall-Spielzeug von Canon, Tamron, Sigma&Co. Aber irgendwie doch wie in der Kindheit. Unbesorgt und losgelöst. Der Hohen Acht rauf, vorbei am Turm und runter zur Strecke, dann richtung Brünnchen.
Die Vorausahnung bestätigt sich. Das Bild, was sich mir präsentiert ist ein Mix aus Schützenfest in Verschlafenheim und der Goldenen Horde auf Amphetamine, die ihre Zelte rund um die Strecke aufgeschlagen haben. Besoffene Proleten um die Mittagszeit, die ihre Zelt- und Wohnwagendekos wohl furchtbar witzig finden. Gut, einmal im Jahr dürfen sie lustig sein. Ist ihr Problem, daß sie die restlichen 364 Tage zum Lachen in den Keller gehen. Jedem Tierchen sein Plaisierchen, das gilt eben auch für zweibeinige Rindviecher der Gattung Homo sapiens recens.
Es gibt Planungsschwierigkeiten. Ich nehm's locker, Problem sehe ich keins, außer das überlastete Mobilfunknetz. Wieder finde ich mich wie in viel jüngeren Jahren an einer Bushaltestelle. Wartend auf dem Bus, von dem man nicht weiß, wann er kommt.
Den Ordnern ist es zu verdanken, daß die wilde Herde zweibeiniger Tiere nicht was schlimmes mit dem Bus anrichtet. Gibt es solche Typen überall? Scheinen sie die 24 Stunden mit Rock am Ring oder Wacken Open Air verwechselt zu haben? Mit zunehmender Nähe zur GP-Strecke wandelt sich das Bild draußen und die wilden Kampfschweine weichen nach und nach echten Motorsportfans. Da fühle ich mich wohler. Der Bus ist langsam, die Reise lang. Ganze sechs Kilometer.
Einen Boxenstopp bei Subway später treffe ich auf meine Begleitung, der meine lockere Attitude gehörig gegen den Strich geht. Gerade erst gekommen, noch kein Ticket...ich höre was von "Chaot" und "unorganisiert". Was soll's, Ticketbuden gibt es an den Eingängen mehr als genug, Geld habe ich, Shuttlebus fährt an diesem Tag rund um die Uhr.
Bilstein-Tribüne ist wegen Überfüllung geschlossen, daher weichen wir auf T5 aus. Schöne Sicht auf die ersten zwei Mühlenbach-Kurven und die Dunlop-Kehre. Wolken ziehen auf und schon in der Einführungsrunde fahren etliche Autos mit Scheinwerfern an. Kamera aufbauen, ein Paarmal trocken mitziehen. Fühlt sich trotz des auffrischenden Wetters und einem kurzen halbherzigen Regen gut an.
Das erste gute Motiv beschert mir ein Ginetta GT4, der sich in der ersten Mühlenbach-Kurve dreht und die Strecke kurz in ein Parkplatz verwandelt. Viel später sollte ich erfahren, daß er am nächsten Morgen an der Hedwigshöhe richtig abgeflogen ist. Aber das ist noch Zukunft.
Den Rest verbringe ich in der Gegenwart. Bei aufziehender Dämmerung und auffrischendem Wetter gibt es eine Menge zu knipsen. Mitziehen, Serienfeuer, nur am Rande an Motive und Bildgestaltung denken. Der Ginetta und der "Parkplatz". Eins der Kremer-Porsches im Kies. Überholvorgänge. Die farbenfrohen Kremer-Porsche. Mercedes SLS, die mehr durch ihren Sound als durch ihre Linien sich in die Herzen der Zuschauer röhren. Bullig und fast bedrohlich wirkende Audi R8, da passt die "Battlefield 4"-Werbung an einem davon wie die Faust aufs Auge. Leider erwische ich ihn auf kein Bild scharf. Schade. Ein Aston Martin mit der passenden Startnummer 007. Muß wohl James Bonds Dienstwagen gewesen sein. Ein einsamer Ferrari, der wie verloren mitten in einer Porsche-Kampfgruppe fährt. Ein Paar Stimmungsbilder. Der Opel Manta, der stilsicher und trotz seines Alters wie einst seine schnellen Runden um den Ring dreht. Stilecht mit Fuchsschwanz, versteht sich. Am Steuer kein Geringerer als Volker Strycek. Später sollte ich mich wie ein Kind freuen, daß mir ein Mitzieher davon gelungen ist. Von solchen Legenden lebt der Ring.
Es wird immer dunkler, Wetter frischt auf und verspricht eifeler Regen, als wir ein Paar Kommunikationsschwierigkeiten später auf die nicht mehr überfüllte Bilstein-Tribüne wechseln. Anbremsen des Castrol-S (oder, wie es auf Neu-nürburgringisch "Yokohama-S" heißt), da glühen die Bremsscheiben. Klassisches, aber immer wieder schönes und dankbares Motiv. Eingefangen!
Noch ein letztes Stimmungsbild. Ich mache mir Gedanken um die Rückfahrt. Shuttlebus bis Brünnchen ab dann zu Fuß richtung Hohe Acht. Denken tut es sich leicht. Meine Begleitung sagt was über "Taschenlampe" und wie dunkel es da oben wäre. Recht hat sie. Ich packe ein, verabschiede mich kurz und bin weg. Shuttlebus ist überfüllt, warten auf dem nächsten. Es wird dunkler und es kommt, wie es kommen musste. Eifeler Regen, und zwar einer, der dem Satz "Wasser ist nass" ganz neue Qualitäten verleiht. Bus kommt nicht und mit der kindlichen Gelassenheit ist es vorbei. In den Bergen bei Nacht, da ist es tatsächlich zappenduster. Hatte ich fast vergessen.
Langsam werde ich mehr als nur ein Bischen nass. Den Gedanken habe ich mir schon längst gefasst, aber kein Taxi in Sicht. Wie denn auch, mitten in der Eifel? Doch, da ist einer und anscheinend will keiner einsteigen. Ich schon. "Guten abend, einmal bis zur Hohen Acht bitte." Fahrer ist gutgelaunt und die Heizung läuft, als es in dem Dauerstau richtung Boxster geht. Zeit zum aufwärmen und ein Bißchen Smalltalk. Meine Laune taut auf, aber es ist nicht die kindliche Gelassenheit vom Nachmittag. Da war noch was...
Wir sind schon am Straßendreieck an der Hohen Acht angekommen. Dem Fahrer gebe ich ein großzügiges Trinkgeld. Die Extraportion eifeler Regen, die ich auf den letzten Metern auf dem Weg zum Boxster abkriege, läßt die Erinnerung von vorher noch klarer werden. Vorher gilt es aber, nach Hause zu fahren.
Mit aufgedrehter Heizung fahre ich nach Hause. Es regnet Bindfäden, Boxster will mit Feinfühligkeit bewegt werden. Bin zu müde für die Musik von der Hinfahrt, noch müder für klassischen Hard Rock. Mando Diao ist eher was. "Hurricane Bar", passend zum Wetter. Die Straße ist längst trocken, als ich mit einem 911GT3 überholen spiele. Wieder gibt es einen Lächeln vom GT3-Fahrer und von mir den Daumen nach oben, als jeder seines Weges fährt. Ich bin müde und trotzdem am Lächeln. Es ist mir klargeworden, was es mit dieser Erinnerung und dem Regen an sich hatte. Wenig später, zuhause im Trockenen, weiß ich es mit Sicherheit.
Getauft wurde ich in dem Alter, als die Sonne der Kindheit gerade am Horizont unterging. Den ganzen Tag habe ich mich wie ein Kind gefühlt und gefreut, die eifeler Luft und den Geist der 24 Stunden aufgenommen.
Der Regen war meine Eifeltaufe.